Ursula
15. Juni 1965 – 9. Dezember 2010
Nie hätte ich gedacht, dass ich einmal einen Nachruf auf Dich schreiben würde, liebe Ursula. Da, wo wir waren, da war Leben, nicht Tod.
Lebhaft war schon unser Kennenlernen. Beide waren wir unter denen, die eine Doktorandenstelle an diesem renommierten Berliner Institut ergattern wollten. Und so trafen wir uns, als wir beim „Vorsingen“ gegeneinander antraten. Der Ausgang war salomonisch und der Ausgangspunkt für unsere Freundschaft: Man richtete eine zweite Stelle ein und verzichtete auf ein Ranking.
Es folgten diese wilden Berliner Jahre, in denen wir stritten, feierten, redeten und hart arbeiteten – beide mit wissenschaftlichen Zielen und voller Ideen. Wir haben uns in unserer Verschiedenheit zusammengerauft. For the records: Du warst die lebenssprühende, extrovertierte, und auf Hochtouren laufende Version, die den Wind um die Nase brauchte… Und wenn wir etwas ernsthaft Schwieriges zu wuppen hatten, dann waren wir als gemischtes Doppel eine unbesiegbare Kombination (und Du meistens der „böse Bulle“). Erinnerst Du Dich an jenen Abend in Moabit? Und an Deine Erste-Hilfe-Aktion, als mich der Liebeskummer heimsuchte?
Beide entschieden wir uns, den Weg zur Professur gegen etwas zu tauschen, was uns mehr lag. Deine Arbeit, die Du bis in dieses Jahr hinein getan hast, begann mit einer Vermittlung, die ich nach einem Praktikum in einem Verlag übernehmen konnte. Dafür hast Du jenen Gastwissenschaftler vom anderen Ende der Welt an unser Institut eingeladen, mit dem ich nun seit 14 Jahren verheiratet bin. Wenn ich ihn und unseren Herrn Sohn ansehe, dann weiß ich: Es gibt die beiden in meinem Leben nur Deinetwegen.
In den Jahren nach der Promotion trennten sich also unsere Wege. Doch unsere Freundschaft war unabhängig von regelmäßigen Ritualen. Wenn wir uns sahen, war es, als hätten wir uns noch vor einer Woche gesehen – mochten auch drei Jahre dazwischenliegen, die ich zwischendurch in Japan verbrachte.
Wie seit unserer ersten Begegnung haben wir uns gegenseitig den Spiegel der Andersartigen vorgehalten, uns gerade dadurch gegenseitig ergänzt, bereichert und bewundert. Am meisten beindruckte mich Deine Lebensfreude, Deine Bereitschaft, Risiken einzugehen und die Fähigkeit, auch nach einer Flasche Rotwein noch messerscharf zu denken – meistens beim Sushi an unserem Kreuzberger Lieblingsort. Was haben wir gerungen – um das Wahre, um Karriere, um den Umgang mit Männern.
Dann trat der Tod in unser Leben. Du verlorst in kurzem Abstand Vater und Mutter, ich meine Mutter. Wieder rangen wir: diesmal um Fassung, um Sinnpartikel, ums Abschiednehmen und Weitergehen. Ich wünschte, es wäre bei diesen Begegnungen mit dem Ende erst einmal geblieben!
Doch dann brach 2008 der Krebs in Dein Dasein ein, mit einer aggressiven Wucht, die alles änderte. – Nein, nicht alles. Du bliebst Kämpferin, hast Dich entschlossen und tränenlos gegen diese Krankheit gestellt. Und mehr noch: Du hast das bewahrt, was Dich ausmacht: Deine Würde, Deine Willenskraft, Deine Wahrhaftigkeit und sogar Deine Lebensfreude. Dann hast Du ein Internet-Forum aufgebaut, um anderen in Deiner Situation Austausch zu ermöglichen und sie zu unterstützen.
Du hast gelebt auf allen Kanälen (und auf Deinem Segelboot auf dem Wannsee!), mit all der Intensität, die in den Phasen Deiner Krankheit maximal möglich war. Nie vergessen werde ich Deine Sammlung wilder Perücken, die Dir während der Chemotherapie nicht nur die fehlenden Haare ersetzten, sondern mit denen Du verschiedene Identitäten ausprobiert hast. Ebenso wenig vergessen werde ich die unbekümmerte Bewegung, mit der Du an unserem Kreuzberger Lieblingsort (wieder bei Sushi und Rotwein) die blonde Perücke mit elegantem Schwung vom Kopf zogst wie einen Hut, um mir zu zeigen, wie Du „oben ohne“ aussahst. Als Deine dunklen Haare wiederkamen, hattest Du Lust an der Verwandlung bekommen und trugst Deine wilde Mähne eine Zeit lang platinblond.
Ich sah Dich öfter in der letzten Phase, als Dein Haar wieder dunkel war. Als Du Deine schöne Wohnung hattest verlassen müssen, besuchte ich Dich mit Sushi (von unserem Kreuzberger Lieblingsort) und Champagner in Deinem Prinzessinnenzimmer im Hospiz, wo wir dann (so gut das jeweils noch ging) tafelten und rangen: diesmal um Tod und Lebensdinge. Um schwere Fragen.
Es kam mir bei diesen Besuchen oft so vor, als läge ein Teil von mir mit Sauerstoffgerät in diesem Bett. Genauso gut hätte ich es sein können.
Die Krankheit fraß Stück für Stück von Deiner Vitalität – eine harte, sehr harte Prüfung für eine Frau wie Dich. Doch Deine Würde, Deine Willenskraft, Deine Wahrhaftigkeit und auch Deine Lebensfreude: Was Dich ausmachte, das konnte der Krebs Dir bis zuletzt nicht nehmen. Du entdecktest, dass Piccolos reichen und Alkohol in guter Schokolade delikat sein kann. Jeden Tag schriebst Du drei schöne Dinge auf, für die Du dankbar warst – und für die Du ebenfalls ein Forum ins Leben gerufen hattest.
Noch eines hat mich tief berührt: Viele der unzähligen Impulse, die Du als begabte „Anstoßerin“ anderen gegeben hast, kamen am Ende zu Dir zurück. Wohl selten muss eine Sterbende Besuche so planen, wie Du es musstest! Obwohl Du nur die Menschen ins Prinzessinnenzimmer gelassen hast, die Dir wichtig waren, waren es doch im Schnitt drei Besuche an jedem Tag, manchmal von Gruppen. Du hast viel Liebe, viel Resonanz in den Menschen hervorgerufen.
An diesem Donnerstag bist Du auf die andere Seite gegangen – dorthin, wo keine Sauerstoffgeräte und keine Schmerzen sind.
Du wirst mich weiter begleiten. Ich trage das, was uns verbindet, in die Zeit hinein, in der wir nicht mehr gleichaltrig sein werden.
Ich verspreche Dir, ich werde diese kommenden Jahre würdigen und so gut leben, wie ich es kann. Sie sind nicht selbstverständlich.
Danke für alles, was Du warst und bist.